Der Wettbewerb im Einzelhandel ist härter geworden. Viele Produkte können heute per Internet bestellt werden. Es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, dass der Kunde überhaupt einen Laden betritt – ein Geschäft mit Ware und Personal. Die Unternehmen
perfektionieren deshalb ihren Verkaufsraum vor Ort. Der Kunde soll sich im jeweiligen Geschäft wohl fühlen und dort auch tatsächlich kaufen. Das wichtigste dabei ist: Der Service muss stimmen, Mitarbeiter müssen freundlich und kompetent sein. Um zu prüfen, wie gut oder schlecht sich der Verkaufprozess im Laden gestaltet, schicken Unternehmen Testkäufer los. Man nennt diese Methode Mystery Shopping. Sven Scherz über den „Kunden inkognito“, den verdeckten Ermittler im Dienste der Umsatzsteigerung.

Wenn der Umsatz stimmt, sind die Unternehmen zufrieden. Und dennoch: Jeder Kunde hinterlässt eine unbekannte Größe. Vielleicht hatte der Käufer ja noch weitere Produkte gesucht, aber nur nicht gefunden? Vielleicht hätte er bei besserer Beratung ja noch mehr Artikel in den Warenkorb gelegt? Das schließlich hätte mehr Umsatz bedeutet. Unternehmen schulen ihr Personal eigens für solche Verkaufsberatung. Cross Selling nennt sich diese Strategie. Verlangt im Baumarkt ein Kunde eine Regenrinne, zeigt ihm der geistesgegenwärtige Verkäufer zusätzlich, was man gerade an Auffangtonnen, Abflusssieben oder Haltemanschetten im Angebot hat. Doch die Schulung allein reicht vielen Unternehmen nicht. Sie wollen sicher gehen, dass Ihre Strategien auch verwirklicht werden. Genau dann schlägt die Stunde des Mystery Shopping: Geheim
und unerkannt prüfen Testkäufer die Mitarbeiter. Felix Küsell ist Geschäftsführer der Globis GmbH, einer Unternehmensberatung in Berlin.

Küsell:

Unsere Kunden kennen, ich denke, zu 90 Prozent Mystery Shopping, oftmals auch Testkäufe genann. Mystery Shopping ist also eine Sache, die in der Wirtschaft generell und in der Industrie ziemlich gut bekannt ist. Man kennt sie nur nicht als Endkunde. Der Verbraucher kennt höchstens Kundenbefragungen. Die erreichen ihn – meist in Begleitung irgendeines Gewinnspiels. Doch Informationen zum Cross Selling zum
Beispiel lassen sich mit dieser Methode nicht ermitteln. Schließlich wäre es plump zu fragen: Ist es dem Verkäufer gelungen, Sie zum Kauf weiterer Produkte zu bewegen? Für solche Informationen ist der Testkäufer zuständig.

Oliver Skovronek ist seit fünf Jahren regelmäßiger Mystery Shopper.

Ich hab angefangen im Einzelhandel mit Gummibärchen-Läden über Fitness-Studios, Fluglinien, Autohäuser… hat ein breites Spektrum. Der Mystery Shopper Skovronek bekommt vor jedem Einsatz die Kriterien erklärt, auf die er achten muss. Zum Beispiel will ein großer Mobilfunkanbieter wissen, ob die aktuelle Angebots-Aktion von allen Filialen ausreichend angepriesen wird. Dann schaut Skovronek, ob die entsprechenden Plakate hängen und die Broschüren ausliegen. Hinzu kommen Kriterien, die generell zu beachten sind. Der Testkäufer braucht nicht nur Urteilsvermögen, sondern auch ein gutes Gedächtnis.

Skovronek:

Beim Betreten einer Filiale spielen vorrangig immer eine Rolle die Ordnung und Sauberkeit, sind die Glasflächen sauber? Rennt der Verkäufer nicht weg, wenn der Kunde kommt, also, kümmert sich der Verkäufer um den Kunden? Die Sache der Service-Orientiertheit, also Blickkontakt, Freundlichkeit, die Bedarfsanalyse und das sind eigentlich so Punkte, die man dann auch relativ gut objektiv zusammenfassen kann. Weil die Firmen diese Vorgaben ihrem Personal einfach geben, die einzuhalten sind. Die Bedarfsanalyse… Was will der Kunde? Was ist für ihn das Passende? Im Telekommunikationsgeschäft, aber auch bei der Bahn oder den Fluggesellschaften, zeigt sich in der Bedarfsanalyse die Kompetenz eines jeden Verkäufers. Es gibt nämlich hier einen Super-Spartarif zu solchen Konditionen oder aber dort ein Treue-Punkte-Extra-Angebot zu jenen Vergünstigungen.

Der Mystery Shopper kennt alle Möglichkeiten und merkt sich, welche Variationen der Händler anbietet. Mystery Shopping entwickelte sich in den USA. Seit Ende der 90er Jahre ist es in Deutschland üblich. Große Handelsketten, Autofirmen oder eben Telefonanbieter verbesserten und standardisierten damit ihren Service.

Skovronek:

Der Sinn und Zweck ist ja letztendlich, die Produkte gibt’s in mehrfacher Ausführung auf dem Markt, aber um die an den Mann zu bringen ist die Service-Orientiertheit letztendlich das entscheidende. Nicht nur der Preis und das Produkt, sondern die Service-Orientiertheit und eine Filiale, wo ich gut beraten bin und mit einer guten Laune auch wieder zufrieden rausgehe als Kunde, die werde ich beim nächsten Mal eher wieder betreten als eine Filiale, in der ich schlecht oder unfreundlich beraten wurde.

Eine Branche, die diesen Wettbewerb deutlich spürt, ist der Buchhandel. Wegen der Preisbindung kosten Bücher in jedem Geschäft das gleiche. Das Erscheinungsbild des Ladens, die Gestaltung der Verkaufsfläche ist deshalb ausschlaggebend. Sind die derzeitigen Bestseller gut sichtbar präsentiert, ist in den Leseecken alles in Ordnung, wo die Kunden sich zurückziehen und in Ruhe stöbern können?

Beim Kultur-Kaufhaus Dussmann in Berlin sind diese Kriterien bis ins Detail durchdacht. Auf Mystery Shopping aber, sagt Sprecherin Bianca Krömer, wird verzichtet. Man prüft sich selbst – jede Woche, täglich und stündlich.

Krömer:

Wir haben nicht nur einen wöchentlichen Kontrollgang, ob die Bücher gut präsentiert sind, sondern ich würde fast sagen einen stündlichen Kontrollgang. Das ist für uns eines der wichtigsten Aspekte überhaupt. Das ist das Etikett, mit dem wir nach draußen zum Kunden auftreten, und wenn da ein Tisch durcheinander gewühlt ist, dann muss der nach kürzester Zeit wieder ordentlich sein, wir machen auch so ein Prinzip, das nennt sich Prinzip des vollen Stapels. Bei uns sind viele Bestseller zumindest in großen Stapeln präsent und wenn das schnell abverkauft wird, sofort nachstücken, nachlegen… Das machen wir im Prinzip den ganzen Tag über, kann man sagen.

Wie sinnvoll Mystery Shopping beim hart umkämpften Buchhandel ist, bleibt ein Geheimnis. Denn der Testkäufer deckt ja nur auf. Wenn das Unternehmen dann keine Konsequenzen zieht, bringt die beste Fehleranalyse nichts. Im Buchhandel steht und fällt alles mit der kompetenten Beratung eines belesenen Verkäufers, der seinen Beruf gelernt hat. Arbeitsplätze für qualifizierte Fachmitarbeiter kosten aber Geld. Und um
die Binsenweisheit zu verstehen, dass ungelernte Aushilfsjobber nur bedingt den Verkauf fördern, muss man keinen Testkäufer engagieren. Dass Mystery Shopping tatsächlich höhere Einnahmen zur Folge hat, konnte bislang niemand beweisen. Schon gar nicht die Wissenschaft, die Betriebswirtschaftslehre, sagt Felix Küsell.

Küsell:

Es gibt kaum eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Mystery Shopping und Umsatzsteigerung als Hintergrund hat. Zum einen sind das hochsensible Daten, die in der Mystery Shopping generiert werden. Die Unternehmen wollen natürlich nicht, dass die nach außen bekannt werden. Zum anderen muss man bedenken, der Zusammenhang zwischen Mystery Shopping und Umsatz ist nicht immer klar. Das macht schon mal eine Messung deutlich schwieriger. Wenn Sie sagen, Sie trainieren das Verkaufspersonal beispielsweise in dem Fall des Cross Selling, kann es sein, dass jetzt gerade ohnehin die Wirtschaft im Ansteigen ist und die Leute kaufen einfach generell mehr, dann würde man diesen Effekt nicht mehr sehr gut messen können.

Das heißt aber nicht, dass Mystery Shopping nur ein selbstverliebtes Instrument der Unternehmensberater ist. Was als verlässliche Größe bleibt, ist Psychologie. Vor allem dort, wo Mitarbeiter vorbereitet werden. Wer weiß, dass jederzeit ein Mystery Shopper vorbeischauen kann, wird auch jederzeit sein Bestes geben. Problematisch ist das allerdings für das Betriebsklima. Mitarbeiter fühlen sich hintergangen. Große Bedenken äußern die Gewerkschaften. Erhebt der Mystery Shopper wohl möglich Daten, um Kollegen loszuwerden? Wie groß ist der Schritt vom gut gemeinten Kontrollgang zum firmenorganisierten Mobbing? Leider gibt es auch dazu keinerlei Studien. Wie sinnvoll Mystery Shopping tatsächlich ist, bleibt also ein Geheimnis.