
Die neuen Automobilhersteller – vorrangig aus China, aber auch Tesla kann man noch dazuzählen – verschenken strategische Vorteile. Sie treten oft mit sehr attraktiven Produkten, aber ohne nennenswerte Händler- und Servicenetze an. Und Sie verstehen Autos weiterhin als Hardware, statt daraus Mobilitätsdienste zu entwickeln. Sie realisieren dabei nicht vollständig, welche Freiheiten für disruptive Geschäftsmodelle ihnen dieser Umstand bietet.
Bereich: Automotive
Automobile Händler- und Servicenetze sind teuer und schwer aufzubauen
Viele automobile Newcomer machen sich auf den langen, mühseligen Weg, eigene Netze zu entwickeln. Dass sie kurzfristig kaum realistische Chance haben, flächendeckend wirklich leistungsfähige eigene Netzstrukturen aufzubauen, ist klar. Gute Partner für leistungsfähige Vertriebsnetze zu finden ist schwierig. Es braucht Zeit und kostet sehr viel Geld bis diese Partner flächendeckend anfangen, profitable Stückzahlen zu verkaufen. Auch die Vermittlung der Markenerlebnisses und entsprechend einheitliche Standards sind mit Partner schwerer zu realisieren. Die automobilen Angreifer orientieren sich noch zu stark an den etablierten Automarken und verschenken damit das Potential, sich nachhaltige strategischer Vorteile rauszuarbeiten.
Dabei liegt die Verbindung von neuen Nutzungsmodellen, wie bei Netflix oder Spotify, und der Vertrieb über das Internet auf der Hand. Der nicht gezahlte Margenbestandteil für traditionelle Handelsstrukturen könnte neue, spannendere Customer Experiences finanzieren und junge Kunden anziehen. Dies ist genau die Zielgruppe, die heute schon den alteingesessenen Automobilmarken immer ferner steht, alles im Web kauft und sich nach Hause liefern lässt. Die etablierten Automarken mit ihren bestehenden Händlernetzen wären schlagartig strategisch im Nachteil, wenn Unternehmen wie Tesla, Lynk & Co oder Borgward massiv auf den digitalen Autovertrieb setzen würden. Dass Service sich heute auch ohne Händlernetz organisieren lässt, zeigt schon die umfassende Vereinbarung zwischen Borgward und ATU: Die Servicekette übernimmt den gesamten Aftersales und die Teileversorgung für die gerade wiederauferstehende Traditionsmarke. Beispiele wie Dell Computers vor 15 Jahren oder Amazon und Zalando heute zeigen, wie nachhaltig sind veränderte Vertriebswege auf Branchenstrukturen auswirken können, auch wenn es bei diesen Beispielen teilweise um Händler oder austauschbarere Produkte geht als es bei den Automarken der Fall ist.
Angebot umverpacken und Autos als Mobilitätsdienste definieren
Auch beim Produktangebote setzen die Newcomer stärker auf etablierte Angebote und vernachlässigen, dass sie die Spielregeln zu ihren Gunsten verändern könnten. Autofahrer wollen in zunehmendem Maße Autos vor allem nutzen. Mobilitätsdienste entstehen für jedes erdenkliche Fortbewegungsmittel, Hersteller wie Daimler melden Rekordzuwächse für ihre Mobilitätsservices und in China schließen sich Automobilbauer zusammen, um den Marktzugang nicht an das chinesische Uber zu verlieren.
Die Musik und Streaming-Industrie macht es vor: Besitzen ist out, nutzen ist in. Die neuen Automobilmarken könnten leichter von diesem Trend profitieren und damit gleich mehrere ihrer Probleme lösen: Sie sind außerhalb der Fachwelt weitestgehend unbekannt, sie genießen als Marke (noch) kein Vertrauen bei potentiellen Kunden und sie werden von der Automobilpresse immer in den Vergleich Hardware gegen Hardware geschickt. Es stellt sich für jeden potentiellen Käufer, jede potentielle Käuferin die Frage, ob sich das Fahrzeug einer solchen Marke wieder gut als Gebrauchtwagen verkaufen lässt oder ob die Leasinggesellschaft einen realistischen Restwert zu Grunde legt. Die Hürden für die Newcomer, um auf herkömmliche Weise erfolgreich zu sein, sind also hoch.
Innovative, interessante Fahrzeuge sollten über innovative Mobilitätsdienste und damit verbundene Bezahlmodelle auf die Straße gebracht werden – und damit aus dem anfänglichen Nachteil eine Strategie machen? Kein Kauf, nur Nutzung, Flatrates, kurze Vertragslaufzeiten, alles-inklusive-Verträge, Vertrieb über das Internet und Lieferung vor die Tür der Besteller, mit einer innovativen Customer Experience. Dem ersten Hersteller, der das anbietet, wird die Aufmerksamkeit der Medien sicher sein. Er wird den Markt für immer verändern. Und ein Gutschein für einen romantischen Hotelaufenthalt als erstes Reiseziel für neue Kunden, wird deren Erwartungshaltung nachhaltig verändern.